In Pascal Meciers Buch „Nachtzug nach Lissabon“ fand ich die wunderbaren Sätze: Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und Melodie geben. ... Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem Leben können, was in uns ist, was geschieht mit dem Rest?
Meine Erfahrung ist, dass viele dieser Erfahrungen nur mit wenigen Personen geteilt werden. Es gibt Freunde, mit denen man Sport treibt, oder die Frauen haben Ihren Handarbeitskreis, oder es gibt den Literaturkreis. Bei einer Beerdigung ist es dann oft so, dass alle diese Freunde, die sich vielleicht auch noch nicht kennen, zusammentreffen. In diesen verschiedenen Menschen zeigt sich dann auch die Vielfältigkeit des Verstorbenen. Manchmal ist es für die Trauernden auch schwer auszuhalten, dass der geliebte Mensch noch viele andere Facetten hatte, als jene, mit denen man schon vertraut ist.
Grabrednerin - 4. Nov, 15:53
Ich habe vor 4 Wochen eine sehr gute Freundin bei ihrem letzten Gang auf dem Friedhof begleitet, die Trauerrede gehalten und die Zeremonie geleitet. Es war eine schöne Beerdigung, doch was ist eigentlich eine schöne Beerdigung? Meine Vision ist, dass viele Menschen zusammenkommen. Alle, die die Verstorbene gekannt haben, denn jeder und jede hat eine eigene Geschichte mit einem Menschen. Bei meiner Freundin kamen Familie und Freunde zusammen, die sich ja über die Jahre meistens auch schon kannten. Am Grab selbst stiegen 60 Luftballons in die Luft, sie hatte es sich so gewünscht, ein Luftballon für jedes Lebensjahr. Es war ein sehr ergreifender Moment. Kurz, nachdem die Urne eingelassen wurde, stiegen die Luftballons in die Höhe.
Für mich ist eine Beerdigung auch der Moment, indem sich der Verstorbene von dem irdischen Dasein verabschiedet. Wohin er dann geht und ob er zurück kommt, darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Wir, die hierbleiben, haben unseren eigenen Abschied, aber wir begleiten auch diesen Moment des Übergangs bei dem Menschen, den wir loslassen müssen. Wenn das in Respekt und Würde und mit intensivem Gefühl sich selbst und dem anderen gegenüber passiert, dann ist es für mich eine schöne Beerdigung.
Grabrednerin - 12. Okt, 10:22
Auszug aus einer Trauerrede:
Andreas ganzes Leben war ein Aufbruch, erst aus den engen Grenzen des elterlichen Bauernhauses, dann aus ihrer Ehe in ein Leben mit Frauen, es folgten mehrere Berufswechsel und immer war sie ganz optimistisch und weitsichtig. Ihre Entscheidungen traf sie klug und überlegt bis zum Schluss.
Andrea war sehr vielseitig, man konnte mit ihr stundenlang reden, ohne dass der Gesprächsstoff ausging. Dabei waren es die kleinen Dinge des Alltags, über die wir uns austauschten. Sie hatte eine große Liebe zum Detail, zu den kleinen Freuden. Sei es, dass sie sich über ihre Balkonblumen freute oder über ein gutes Essen, oder über eine Packung Servierten, die sie aus Portugal mitbrachte und so noch eine lange Urlaubsnachfreude genoss. Ihr war ein schelmischer Humor eigen, der gerne auch schon mal provozierte, aber sie respektierte auch die Grenzen ihres Gegenübers.
(P.S. Der Name ist natürlich frei erfunden.)
Grabrednerin - 29. Sep, 16:34
Diese kleine Frage, ganz alltäglich gestellt und meistens mit einem gut oder ganz gut, oder naja es geht mir schon gut, beantwortet, ist bei Menschen, die Trauern eine große Herausforderung.
Es macht den Anschein, als sei wieder alles in Ordnung. Freunde und Verwandte denken es geht dem Menschen, der trauert, wieder gut. Wir sind es inzwischen so gewöhnt, dass Themen nach kurzer Zeit wieder out sind. Eine Nachricht in den Medien, sei sie auch noch so schrecklich, ist nach spätestens vier Wochen wieder verschwunden. Wir leben in einer sehr schnellen Zeit. Die Ereignisse wechseln sich schnell ab, wir sind einfach daran gewöhnt, zum nächsten Thema oder zur Tagesordnung überzugehen. Doch Trauer wird in einem sehr langsamen Prozess verarbeitet. Dennoch passen sich die meisten Menschen nach kurzer Zeit den Erwartungen unserer schnelllebigen Zeit an, man spricht nicht mehr darüber, die Menschen in der Umgebung fragen nicht mehr „wie geht es Dir?“ weil sie befürchten die selbe Antwort zu bekommen wie 365 Tage vorher: Schlecht, ich bin traurig. Die Menschen, die aber dennoch traurig sind, fallen in eine Einsamkeit. Es ist zu hoffen, dass ein paar Freunde es aushalten, mit einem traurigen Menschen über sehr lange Zeit, befreundet sein zu können.
Grabrednerin - 12. Sep, 13:18
Auch unsere Trauer hat ihren ganz eigenen Rhythmus. Die Trauer um einen geliebten Menschen verschwindet nie ganz, aber sie ändert ihre Gestalt. Nach Kübler-Ross sind es vier Phasen, in denen die Veränderung der Trauer sichtbar wird: 1. Nicht-wahr-haben-wollen 2. Aufbrechen chaotischer Emotionen 3. Suchen, Sich-finden und Sich-trennen 4. Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs. Ich will an dieser Stelle gar nicht die einzelnen Phasen erläutern, und jeder Mensch verarbeitet seine Trauer ganz individuell, aber es scheint bei vielen Menschen so zu sein, dass nach ungefähr einem Jahr die dritte Phase anbricht. In der ersten Zeit, nachdem ein geliebter Mensch von uns gegangen ist, sind unzählige Aufgaben zu bewältigen. Besonders wenn ein Ehepartner verstorben ist, dann muss die Erbschaft geregelt, das Haus oder die Wohnung neu eingerichtet werden. Kinder betreut und auch oft müssen Tiere alleine versorgt werden, die sonst zwei Bezugspersonen hatten. Nach einem Jahr hat sich das Leben mit all seinen Veränderungen meist wieder eingespielt, zumindest auf einer organisatorischen Ebene. Es ist eine Zeit, in der realisiert wird, dass der Partner wirklich nicht mehr da ist, eine Zeit, um zur inneren Ruhe zu finden. Manche Menschen gehen auf eine Reise, im wörtlichen Sinn, sie fahren in eine unbekannte Gegend, um sich selbst wieder neu zu erfahren. Ich möchte diese Menschen darin unterstützen, doch ich möchte Ihnen auch raten, planen Sie Ihre Reise so, dass Sie entweder eine Gruppenreise machen oder immer wieder auf dem Weg Menschen treffen, die Sie kennen und die Ihnen wichtig sind. Frauen haben auch die Möglichkeit in eins der vielen Frauenferienhäuser, die es mittlerweile auf der ganzen Welt gibt, zu fahren. Dort ist man sowohl alleine wie auch in einer sehr netten Gemeinschaft aufgehoben. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.
Grabrednerin - 22. Aug, 20:36
Ich komme gerade zurück von einer Wanderwoche, bei der ich die Reiseleitung habe. In den letzten Jahren nahmen auch immer wieder Frauen daran teil, die vor kurzem Ihren Lebenspartner verloren haben. Die Bewegung an der frischen Luft, besonders das Wandern, erleben die Frauen als sehr heilsam. Das Wandern ist eine recht langsame Fortbewegungsart, Schritt für Schritt schreitet man voran, hat Zeit die Natur zu betrachten, sich mal eine Pause zu gönnen und vor allem die Gedanken fließen zu lassen. Die leichte Anstrengung beim Wandern, wenn es auch mal Bergauf geht, beschäftigt den Körper, die Konzentration ist ganz auf die Füße gerichtet, so dass die Gedanken fließen können. Es ist wie eine Meditation, bei der Erinnerungen hochkommen, die aber nicht im Gespräch verarbeitet werden müssen. Die Erinnerungen an den geliebten Menschen, mit dem man vielleicht auch wandern ging, gehören einem ganz alleine. Es ist ein Innehalten in der Zeit, im Alltag, so dass in aller Ruhe ein Zwiegeschspräch mit dem Menschen, der bereits gegangen ist, möglich wird. Abends tritt eine wohlige Müdigkeit ein, und es folgt ein sehr erholsamer Schlaf. Übrigens die Reise findet einmal im Jahr am Tegernsee statt (31.7.-7.8 2010) und ist bei Frauen unterwegs (Berlin) zu buchen.
Grabrednerin - 3. Aug, 11:18
Die ganze Welt trauert um Michael Jackson. Natürlich habe auch in den achtziger Jahren zu seiner Musik getanzt. Ich bin nicht der ganz große Musikfan, so habe ich sein Leben eher am Rande verfolgt. Dennoch er war ein großartiger Popstar. Wenn ich mir jetzt die Videos im Internet anschaue, dann fällt mir doch besonders auf, dass er auf der Bühne mit seinem ganz besonderen Tanzstil ein bisschen wie Charlie Chaplin aussah. 1997 brachte Michael Jackson eine Maxi-Single „Smile“ in kleinster Stückzahl heraus, auf der er an Charlie Caplin erinnert. Abgesehen von dem extremen Sammlerwert, den die Single jetzt hat, erzählt diese Hommage doch etwas über Michael Jackson selbst. Was die beiden verbindet, ist diese enorme Widersprüchlichkeit in ihrem Ausdruck. Sie sind Helden, sie bringen den Menschen Glück und Liebe und es bleibt doch der Eindruck, dass sie selbst auf der Suche bleiben nach dem Glück, der Zufriedenheit, dem Platz in der Gesellschaft. Das legendäre Kostüm von Michael Jackson, der schwarze Anzug, die zu kurzen Hosen und die weißen Strümpfe, so hatte Chaplin als Tramp ausgesehen. Ein armer Landstreicher, der in die Großstadt kommt, um dort das große Glück zu machen. Er scheitert aber an den Mechanismen einer unbarmherzigen und anonymen Welt, deren Gesetzte willkürlich und unverständlich für ihn bleiben. Auch bei Michael Jackson schleicht sich das Gefühl ein, dass er fremd geblieben ist, in dieser Welt der Erwachsenen, deren Regeln er nicht verstand. In seinem Tanz, dem moonwalk, zeigt er uns eine Figur, die vor allem rückwärts läuft, wobei es fast so aussieht, als liefe er vorwärts. Rückwärts und vorwärts, diese beiden gegenläufigen Bewegungen scheinen sein ganzes Leben zu charakterisieren. Vielleicht trauert die ganze Welt um ihn, gerade deswegen, weil er trotz aller Perfektion, trotz Kostüm und Maske sein Herz so vor aller Welt offenbart hat.
Grabrednerin - 2. Jul, 11:45
Neulich stöberte ich so durch meine alten Bilder, die ich tatsächlich noch als Papierbilder habe, und fand ein Bild von einer sehr guten Freundin, die vor zwei Jahren verstarb. Sie ist viel zu jung gestorben mit 51 Jahren. Auf diesem Bild ist sie so voller Lebensenergie. Es ist ein Urlaubsbild, sie steht auf einem Balkon, raucht, lacht und sieht sehr schön aus. Das Bild strahlt so viel Lebendigkeit aus, als wenn sie gleich aus dem Foto heraustreten würde und in meinem Zimmer steht. Doch nun liegt sie schon seit 2 Jahren auf einem Friedhof in Berlin. Ich denke oft an sie, wie wir gemeinsam im Urlaub waren, aber auch wie wir zusammen geredet, gelacht, geweint und manchmal gestritten haben. Die se Erinnerungen helfen mir. Meine Freundin ist so immer noch ein Teil von meinem Leben. Es ist sehr tröstlich, sie auf diese Weise bei mir zu haben.
Grabrednerin - 25. Jun, 09:37